Samstag, 10. Dezember 2022

(10/24) Adventskalender mit 24 Erinnerungen an Bern: BUCHANTIQUAR ALEXANDER WILD

Herr Wild war in den Jahren 2009-2014 an sehr vielen Abenden bei mir auf dem Laubenbänkli anzutreffen. Seine Stimme ist in Mats Staubs Audio-Guide "METZGERGASSE 2012" sowie in Alberto Veroneses Dokumentarfilm ALTSTADTLÜT verewigt. Ausschnitte vom Dokfilm findest Du in diesem Post. Mein Nachruf für die Brunne-Zytig widmet sich seinem vielseitigen Wirken in der Gasse.


Alexander Wild auf der Bank vor meinem Lädeli im Jahr 2011

"Der Mann, der Pläne realisierte. Bis zuletzt.
Alexander Wild, der Buchantiquar, Buchhändler, Bauherr, Verleger, Städteplaner, Beamtenversteher, Kleintheatergründer, Tierzüchter, Visionär, Bücher- und Projektliebhaber verstarb am 7. November 2014, 84-jährig, nach grossen körperlichen Leiden bei wachem Geist im Burgerspittel. Er hinterliess in der Rathausgasse die wohl grösste Buchhandlungskonzentration der Schweiz.
Alexander Wild in seiner Buchchandlung: Wissenschaftliches Antiquariat Alexander Wild, Rathausgasse 30, 3011 Bern Der in Basel geborene Alexander Wild liebte Worte. Wie er sie beim Sprechen akzentuierte und eindringlich ausgekostete, wie er während seinen Erzählungen innehielt, um den Satz noch geschmeidiger, noch wirkungsbetonter zu Ende zu führen, ist jedem Zuhörer in bester Erinnerung geblieben. Er, der stets geistige Anregung suchte und praktische Lösungen für theoretische Probleme, war bis zuletzt abends unter den Lauben der Rathausgasse anzutreffen, wo er seine Lebensgeschichte, seine Weisheiten und seine Visionen stundenlang mit jüngeren Generationen teilte. Standbild aus dem Dokfilm ALTSTADTLÜT von Alberto Veronese Herr Wild teilte auch seine Leidenschaft für Bücher. Eine erstaunliche Buchhandlungskonzentration hat er in den letzten 36 Jahren in der Rathausgasse erschaffen. 1978 zog er mit seinem Geschäft Wissenschaftliche Buchhandlung und Antiquariat und seinem Origo-Verlag für Östliche Philosophie von der Kesslergasse 40 (heute Münstergasse 70) an die Rathausgasse 30. Zehn Jahre später folgte der Umzug der Bücher-Eule, die von ihm 1968 gegründet wurde. Das Antiquariat wird seit 2002 von seinem Sohn Roman Wild weitergeführt. 1991 wurde von seinem Sohn Kaspar Wild das Bücher-Brockenhaus und das Kinder-Bücherland gegründet. Fünf Jahre später folgte im Keller Alibaba’s Bücherhöhle, in dem jedes Buch für 2 Franken zu kaufen ist.

Renata Wild in Alibaba's Bücherhöhle an der Rathausgasse 30


Alibabas' Bücherhhöhle an der Rathausgasse 30 wurde jeweils am Abend v.a. an den Wochenenden zu einem Konzertraum umfunktioniert

Alexander Wilds Hang zum unternehmerischen Handeln wurde ihm sehr früh auf dem Lebensweg mitgegeben, denn das Schicksal führte ihn kurz vor dem 2. Weltkrieg nach Deutschland. Um dort kurz vor Kriegsende überleben zu können, hat er sich als 14-Jähriger eine Kaninchen- und Hühnerzucht aufgezogen und damit einen Tauschhandel betrieben. Er pflegte und päppelte mit Kräutern und Gräsern die Tiere in seiner Zucht auf, um sie später auf den Bauernhöfen gegen Mehl, Butter, Kartoffeln usw. zu tauschen. Seine Problemlösungen wurde aber auch von Berner Beamten immer wieder von Neuem stimuliert. Sätze wie “Herr Wiud, das was dir da vorheit, das geit nid, das chame nid u das het me no nie so gmacht“ war das sicherste Mittel, ihn in seinem unternehmerischen Vorhaben zu bestärkten.

Interview mit Alexander Wild, Brunne-Zytig, 2010


So überzeugte er 1998 mit seiner wild’schen Psychologie und Bautechniken, die er sich bei den alten Ägyptern abgeschaut hat, die Gewerbepolizei, und baute an der Brunngasse 11 eine Garage zur kleinsten Bar der Altstadt um: Die Zsa-Zsa Bar. Der zweite Streich für die Umnutzung eines weiteren ehemaligen Pferdestalls folgte vier Jahre später, als er der Familie Wong aus Hong Kong die Eröffnung des chinesischen Take Away Tong Fong ermöglichte. Und über achtzig jährig baute er den Bücherkeller an der Rathausgasse 30 so raffiniert um, dass Abends jeder darin Konzerte, Filmvorführungen, Klein-Theater, Poesieabende, Märchenerzählungen etc. organisieren kann. Vielen Dank Herr Wild, für das, was Sie für unsere Gassen gemacht haben."



Impressionen vom 80. Geburtstagsfest, das ich für Alexander Wild in der Brunngasse organisiert habe,  Brunne-Zytig, 2010




Luigi Spadini, Alexander Wild und Stefan Theiler, 2.4.2010 in der Berner Brunngasse


Alexander Wilds Zeittafel: Gründungs- und Übernahmedaten
1963: Alexander Wild, Wissenschaftliche Buchhandlung und Antiquariat, Gründung an der Kesslergasse 40 (heute Münstergasse 70), 1978 Umzug an die Rathausgasse 30
1968: Bücher-Eule, Modernes Antiquariat (Neue Bücher zu günstigen Preisen), Gründung an der Marktgasse 50, 1988 Umzug an die Rathausgasse 32, ab 2002 Führung durch Roman Wild
1975: Karl Maier-Bader & Co., Antiquariat für Jurisprudenz und Staatswissenschaften, Basel, Übernahme und Umzug an die Rathausgasse 30
1976: Origo-Verlag, Zürich (Verlag für Östliche Philosophie), Übernahme und Umzug an die Rathausgasse 30
1978: Norwegische Büchergestelle, Generalvertretung für die Schweiz, Rathausgasse 30
1991: Bücher-Brockenhaus und Kinder-Bücherland (Preisgünstige gebrauchte Bücher aller Gebiete), Kaspar Wild, Gründung an der Rathausgasse 34
1996: Alibaba’s Bücherhöhle (Jedes Buch Fr. 2.-), Gründung im Keller der Rathausgasse 30
1998: Zsa-Zsa-Bar (kleinste Bar von Bern), Gründung an der Brunngasse 11
2000: Hans Rohr, Buchhandlung und Antiquariat, Zürich (Wissenschaft, v. a. Sprachwissenschaft, Altphilologie, Geschichte usw.), Übernahme und Umzug an die Rathausgasse 30
2002: Tong Fong, Chinesisches Take Away, Gründung an der Brunngasse 9
2011: Schaffung einer Doppelnutzung von Alibaba's Bücherhöhle: tagsüber Brücherbrocki, abends Veranstaltungskeller

Filmausschnitt vom Dokumentarfilm ALTSTADTLÜT:
Alexander Wild über den Einfluss seines Wirkens



Filmausschnitt vom Dokumentarfilm ALTSTADTLÜT
Alexander Wild über soziale Kontrolle 



Filmausschnitt vom Dokumentarfilm ALTSTADTLÜT
Alexander Wild - ein altertümliches Relikt

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